Das Lager
Entstehung
Im April 1942 legte Hitler mit dem Vertreter des Munitionsministeriums und dem Heereswaffenamt ein neues Munitionsprogramm fest. Dieses beinhaltete ein Sofortprogramm, das die genauen Sollzahlen für die Herstellung der Munition vorschrieb und bis März 1943 erfüllt werden sollte. Aufgrund des massiven Arbeitskräftemangels, der in der Rüstungsindustrie bestand, erfolgte im August 1942 eine Anordnung für die Zuweisung von Arbeitskräften. Ziel war es, die Rüstungsproduktion zu erhöhen, um die Weiterführung des Krieges an der Ostfront sicherzustellen.
In der Grüneberger Munitionsfabrik waren einheimische Arbeitskräfte, FremdarbeiterInnen und Kriegsgefangene eingesetzt, aber es reichte nicht, um die neuen Sollzahlen zu erfüllen. Deshalb meldete die Grüneberger Metall ihren Arbeitskräftebedarf dem zuständigen Rüstungskommando. Kurze Zeit danach wurden KZ-Häftlinge aus Ravensbrück zur Verfügung gestellt. Für das Arbeitslager in Grüneberg (so wurde das Außenlager auch bezeichnet) wurden gesunde weibliche Häftlinge ausgewählt, die nicht älter als 40 Jahre waren. Sie wurden vorrangig für die gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeiten eingesetzt. Unter unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen wurden sie gezwungen, diese Arbeiten auszuführen.
Die Grüneberger Metall war zu diesem Zeitpunkt die einzige Firma, der im Rahmen dieses Sofortprogramms KZ-Häftlinge zur Verfügung gestellt wurden. Sie hatte damit innerhalb der deutschen Fabriken eine Führungsposition.
Ende August 1942 wurden erste Ravensbrücker Häftlinge mit der Bahn nach Grüneberg gebracht.
„Als wir mit dem Sand fertig waren, schickten sie uns zur Arbeit nach Grüneberg. Wir standen um 3 Uhr morgens auf; bis zum Bahnhof waren es zügige zweieinhalb Kilometer, gefolgt von einer neunzigminütigen Zugfahrt nach Grüneberg. Zuerst haben wir acht bis neun Stunden gearbeitet, dann wurden unsere Arbeitszeiten auf zwölf Stunden erhöht. 1943 schickten sie uns dauerhaft nach Grüneberg.“
Aniela Bodziochowa, Lundprotokoll 181
Für den Einsatz der KZ-Häftlinge gab es folgende Vereinbarungen:
Die SS war für den Transport, die Bewachung, Bekleidung, Ernährung und Krankenversorgung der Häftlinge zuständig.
Der Betrieb musste Unterkünfte, die entsprechend gesichert waren, zur Verfügung stellen.
Arbeitsunfähige Häftlinge konnten gegen gesunde ausgetauscht werden.
So entstand im Auftrag der Polte-Werke in Grüneberg ein eigenes Außenlager in unmittelbarer Nähe zur Munitionsfabrik, getrennt durch die Bahngleise. Es war das erste Außenlager von Ravensbrück, das ein privater Rüstungsbetrieb errichtete. Der genaue Baubeginn des KZ-Außenlagers ist nicht bekannt. Einwohner Grünebergs beobachteten, dass die ersten Baracken im Winter 1942 entstanden sind. In einem Be- und Entwässerungsplan vom 06.05.1944 zur Erweiterung des Lagers ist als Bauherr die Grüneberger Metallgesellschaft mbH benannt.
Am 6. März 1943 bezogen 350 weibliche Häftlinge aus dem Konzentrationslager Ravensbrück das Lager in Grüneberg. Im April 1944 lebten und arbeiteten dort ca. 1030 Häftlinge und zum Ende des Krieges 1703 Häftlinge.
Bild 1: Lageplan für den Anbau weiterer Baracken der Grüneberger Metallgesellschaft mbH vom 16.03.1944 / Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Rep. 6C Ruppin Nr. 500/2
Lagergelände und Baracken
Das Lager befand sich etwa 150 m hinter dem Bahnhof. Den Eingang des Lagers bildeten vermutlich ein sogenanntes Kammertor mit vorn und hinten Toren, in dem die Kolonnen beim Passieren eingeschlossen und jeweils kontrolliert wurden. Rechts vor dem Tor stand eine Baracke für die Wachmannschaften. Links hinter dem Eingang standen sechs Unterkunftsbaracken für die Häftlinge, auf der rechten Seite vier weitere Baracken. Hinter den ersten beiden Unterkunftsbaracken befand sich der Speisesaal für die Wachmannschaften, und in nachfolgender Baracke waren Küche, Essensausgabe für die Häftlinge, Krankenrevier und Vorratsräume untergebracht.
Bild 2: Skizze des Lagers von Clemens Kolkwitz 2021 / Eigenarchiv
Zwischen den letztgenannten Baracken stand zu den Bahngleisen hin ein Entwesungsgebäude.
Insgesamt standen auf dem Lagergelände zehn Baracken. Auf der Zeichnung ist die geplante Erweiterung vermutlich für italienische Militärinternierte („Italiener“) zu sehen. Die Lage der Baracken, abgetretene Pfade und angelegte Beete, vermutete Wachtürme, Löschteich und Befestigungsanlagen sind auf einer Luftbildaufnahme der US-Airforce vom 24.03.1945 für einen geübten Blick gut zu auszumachen.
An welcher Stelle der von den Häftlingen beschriebene Bunker war, ist nicht bekannt. Er muss jedoch in Nähe der Baracken gewesen sein, da nach Zeitzeuginnenberichten die Schreie der Häftlinge deutlich zu hören waren. Dieser Bunker war kein Gebäude, sondern wurde von den Häftlingen als eine tiefe Grube unter einer Wand beschrieben. Auf dem Erdboden lagen zusammengenagelte Bretter, die an der Wand befestigt waren, zum Herunterklappen. Weit oben befand sich ein Fenster oder eine Luke, die auch im Winter immer offenstand. Der Strafbunker kann ein Keller in einer Baracke gewesen sein, aber auch auf freier Fläche, etwa in eine der als Splitterschutzgräben angelegten Gruben, allerdings mit Abdeckung.
Das Lager hatte eine Grundfläche von 36889 m² (lt. Vermessungsplan von 2020), war mit einem unter Hochspannung stehenden Elektrostacheldraht eingezäunt und wurde streng bewacht. Hinter dem Stacheldrahtzaun war ein 2 m hoher Bretterzaun aufgestellt, der blickdicht war. Im Lageplan des Be- und Entwässerungsplans vom 06.05.1944 sind als Bestand fünf Splitterschutzgräben eingezeichnet. Die bestehenden Baracken waren auf diesem Lageplan von eins bis zehn durchnummeriert und bezeichnet: Wirtschaftsbaracke, Waschbaracke, Mannschaftsbaracke, Küchenbaracke, Krankenbaracke, Speisesaal, Abortbaracke, Entwesungsbaracke. An drei Seiten des Geländes sind mit einem Symbol versehen “Beobachtungsstände“ benannt, die als Wachtürme vermutet werden können. Unter dem Schriftkopf des Lageplans vom 6.5.44 ist der Stempel mit folgenden Unterschriften versehen: „Bauherr: Grüneberger Metallgesellschaft mbH, Gerhardt. Architekt: i. V. Haupt“.
Aus diesem Lageplan und dem Luftbild, das sehr deutlich alle Anlagen mit Schattenbildung zeigt, hat Architekt Reinhard Plewe aus Prenzlau eine Militärperspektive entwickelt, die der Wirklichkeit nahekommt. Er war in den 1990er Jahren der Architekt der Umbauten und Restaurierungen auf dem Teil des Ravensbrücker Geländes, auf dem die Häuser der SS-Aufseherinnen stehen, und hat eine große Erfahrung auf dem Spezialgebiet von Barackenbauten und dem Lesen von Lagerkarten.
Bild 3: Lager in Militärperspektive rekonstruiert von Reinhard Plewe / Eigenarchiv
In Grüneberg wurden überwiegend Wohnbaracken des Typs RLM 501/34 errichtet. Baracken mit der Bezeichnung RLM wurden vom Reichsluftfahrtministerium entwickelt. Die Baracken des Typs RLM 501/34 waren zehn Meter x fünfzig Meter groß und bestanden aus einzelnen Wandelementen aus Holz, manche mit Fenster und Türen. Sie waren einstöckig, außen grün gestrichen und mit schwarzer Dachpappe bedeckt. Eine Baracke auf dem Lagergelände und die Baracke für die Wachmannschaften waren vom Typ IV/5. Dieser Typ hatte Zwischenwände und konnte z. B. auch für Waschräume, Küchen, Aufenthalts- oder Verwaltungsräume verwendet werden.
„Als ich im Lager ankam, gab es dort 5 Blocks, der sechste war während einer Wanzen Desinfektionsaktion abgebrannt. Nach meiner Ankunft wurde das Lager um drei Blocks erweitert, der abgebrannte Block wurde im August wiederhergestellt. In einem der Blocks war das Krankenrevier, die Küche und die Vorratsräume. Die übrigen Blocks wurden von den Häftlingen bewohnt. Die Blocks waren nicht alle gleich gebaut, drei von ihnen hatten Außentoiletten, in den anderen gab es Innentoiletten. In den Waschräumen gab es sechs Waschbecken, nur im Block 6 gab es viel Platz zum Waschen. Nachts durfte man nicht auf die Toilette gehen, in den Waschräumen standen Kübel, aber sie reichten nie aus, daher stank es immer in den Blocks."
Danuta Hilkner, Lundprotokoll, Zeugenaussage 53
„Die Estinnen L. P. und M. L.-T. beschreiben die Baracke, in der sie untergebracht waren, folgendermaßen: In einem Zimmer waren ungefähr 20 Personen untergebracht, in der ganzen Baracke etwa 200. Dies entspricht zehn Zimmern in einem Block. Die hölzernen Betten waren zwei- oder dreistöckig, sie waren mit einem Laken und einer dünnen Decke ausgestattet. Eine Matratze beziehungsweise ein Kissen gab es jedoch nicht. Jede Frau hatte ihr eigenes Bett. Bei Strafe war es sogar verboten, zu zweit in einem Bett zu schlafen.“
Militsa Trumees-Löhmus und Ludmilla Paavo, Schriftliche Aussage, Privatbesitz Susanne Neumayer, Magisterarbeit S. 67
„Im Winter wurde kaum geheizt, das Wasser auf dem Block fror zu, wir froren erbärmlich unter den dünnen Decken. Das Beten war nicht erlaubt, religiöse Gegenstände wurden vernichtet.“
Danuta Hilkner, Lundprotokoll, Zeugenaussage 53
Läuse, Wanzen, Flöhe und damit die Krätze waren im Lager sehr verbreitet.
Fliegeralarm
In Grüneberg gab es oft Fliegeralarm. Die britischen und amerikanischen Flieger flogen in Richtung Oranienburg und Berlin, um dort ihre Bomben abzuwerfen. Es fielen einige Bomben in Grüneberg, aber es kam nur vereinzelt zu Beschädigungen an Gebäuden. Menschen sollen nicht zu Schaden gekommen sein.
Wenn Fliegeralarm war, mussten die Häftlinge in ihren Baracken bleiben. Bald wurden Splitterschutzgräben auf dem Lagergelände angelegt. Dazu wurden Gänge unterhalb der Erdoberfläche gegraben und mit Brettern abgestützt. Eine Belüftung war nicht vorgesehen. Die Splitterschutzgräben sollten vor quer schlagenden Bomben- und Granatsplittern schützen. Der Platz reichte jedoch nicht für alle Häftlinge. Sie wurden von den Aufseherinnen gezwungen, eng beieinander im Graben zu stehen. Manchmal dauerte der Alarm stundenlang. Im Sommer war die Hitze das Problem, und im Winter froren sie erbärmlich.
„Über Grüneberg flogen die Flugzeuge, und es war am schlimmsten, was sie sich dann ausdachten. Früher ließ man uns in den Baracken und so. Dann dachten sie sich aus, dass sie Gänge bauten, so einen Gang, der nur mit ein paar Brettern gestützt war, das war alles. Keine Belüftung, keine Luft! Und als es Alarm war, stopfte man uns dort in diese Gänge. Und dort bekamen damals Unzählige einen Schock und verfielen nervlich sehr, weil das fürchterlich war. Die Häftlinge wurden in diesen dunklen Gang mit Stöcken hineingezwungen und eingezwängt, wie wenn man Sardinen in die Büchse hineinquetschte. Aber das war kein Graben, ein Gang. Ein Gang unter der Erde. Ein paar Bretter. Aber nirgendwo Luft, und jetzt quetschten sie hinein.... Und viele erlebten einen Schock.“
Dana Valic, Interview vom 25.08.2001 in Ljubljana mit Loretta Walz
„Gegen Ende des Krieges dachten alle, die Munitionsfabrik würde bombardiert werden, denn die Fabrik war ziemlich groß und wichtig. Wenn also britische Flugzeuge über das Lager flogen, erwarteten die Frauen außerhalb der Baracken in den Gräben ihren Tod. Was meine Großmutter sehr komisch fand, war die Tatsache, dass die Frauen in ihrer Nähe in diesen Augenblicken die Zubereitungsart verschiedener Apfelkuchen diskutierten und sich über polnische Rezepte unterhielten. Meine Großmutter beteiligte sich nicht an solchen Diskussionen, aber sie vermutet, dass es als irgendeine Therapie wirkte oder als einen Versuch, die riesigen Flugzeuge zu verdrängen, die sie anscheinend bombardieren wollten. Sie versteht immer noch nicht, warum die Briten nie die Lager bombardierten.“
Aussage der Enkelin von Maria Lasocka
Bild 4: Ausschnitt eines Luftbildes vom 24.03.1945 der US Air Force mit Lager- und Fabrikgelände / Quelle: Landesluftbildsammelstelle der Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg © GeoBasis-DE/LGB (1945) / dl-de/by-2.0
Auflösung des Lagers, Todesmarsch und Befreiung
Der Kommandant des KZ Ravensbrück gab 1946 vor der britischen Armee zu Protokoll, dass er Anfang 1945 einen mündlichen Befehl erhalten hätte, ausgewählte Lager nach Ravensbrück zurückzuverlegen. Das betraf auch das Außenlager Grüneberg, jedoch fand die Rückführung der Häftlinge etappenweise statt. Die Evakuierung muss etwa zwischen dem 22. und dem 26. April 1945 erfolgt sein.
Bei der Zusammenstellung der Todesmärsche in Ravensbrück war die Nationalität der Häftlinge nicht mehr von Bedeutung. Während des Todesmarschs, der von der SS streng bewacht wurde, hatten die bereits entkräfteten Häftlinge kaum Zeit, sich auszuruhen. Die dürftige Kleidung, die Kälte und der Hunger setzten ihnen besonders zu. Nur nachts konnten sie sich ein paar Stunden von den Strapazen erholen. Wem die Kraft zum Weiterlaufen fehlte, wurde erschossen. Die Häftlinge wurden in verschiedene Richtungen auf den Todesmarsch geschickt. Einige wurden Richtung Norden nach Malchow oder Lübz getrieben. Die Russin J. O. wurde Richtung Leipzig geschickt und wurde am 3. Mai 1945 befreit.
Eine beträchtliche Anzahl der Häftlinge hat den Todesmarsch jedoch nicht überlebt.
„Als sie uns aus dem Lager trieben, sah ich, wenn die Straße um die Kurve ging, den Anfang und das Ende der Kolonne. Es war schrecklich, wie wenige wir am Schluss nur noch waren. Was mit denen passiert ist – viele wurden erschossen. Die zu Tode erschöpften, die nicht mehr laufen konnten und umfielen, wurden erschossen. Es wurde erzählt, ich habe es selbst nicht gesehen, dass am Ende der Kolonne ein Auto fuhr, das die Leichen einsammelte."
Aleksandra Suiba-Rudina, Interview mit Loretta Walz in Ravensbrück am 10.09.1999
„Dragica Kristan Komencic gibt an, dass sie den ganzen Weg über dachte, dass man sie ans Meer führen und versenken wolle. Dadurch war es zusätzlich schwierig den Lebenswillen, den man für das Überleben dieses Marsches dringend brauchte, aufrechtzuerhalten.“
Dragica Kristan Komencic aus Magisterarbeit von Susanne Neumayer, S. 105
Viele Häftlinge waren vorher im Gefängnis und in verschiedenen Konzentrationslagern wie Majdanek und Ravensbrück, aber die Hölle durchlebten sie in Grüneberg.
„Das ist eines der schrecklichsten hitlerischen Konzentrationslager, über das unter den Gefangenen düstere Legenden, eine schrecklicher als die andere, umgingen."
Jekaterina Iwanowna Olowjannikowa, Ravensbrück-Archiv, Band 33, Bericht 599-2
Hinterlassenschaften
Etwa am 20. April 1945 wurde wegen des Herannahens der Roten Armee das Ravensbrücker KZ-Außenlager in Grüneberg geräumt. Es gibt verschiedene Berichte, auf welche Weise die Frauen ins Hauptlager zurückkamen, per Bahn und LKW, aber auch zu Fuß. Auch in dieser Übergangsphase kam es noch einmal zu lebensgefährlichen Situationen für die Häftlinge. So erzählte die Internierte Dana V. (Jg. 1925) aus Slowenien:
„Es war, als sie das Brot verteilt haben, haben sie es herausgeschmissen. Und die Russinnen liefen da hin und rafften alle zugleich das Brot auf dem Boden. Aber ich rief: Halt! Stellt euch in die Reihe, dann bekommt ihr alle das Brot, und dann wird es nicht schmutzig sein! Das beobachtete die Aufseherin und zielte mit der Pistole auf mich. Ich duckte mich weg, so wurde die Frau hinter mir erschossen.“
Bild 5: Befestigungsösen für den Stacheldraht an einem
Originalpfeiler / Foto: Ruth-Barbara Schlenker
Ein letztes Mal wurden die gesammelten Leichen mit dem LKW ins Krematorium nach Ravensbrück geschickt oder vielleicht auch hier begraben? - Und sicher hatten die Aufseherinnen, die nicht zur Begleitung der Transporte eingeteilt waren, noch einiges im Lager aufzuräumen: Die Mannschaftsbaracken und Hundezwinger vor dem Haupttor des Lagers, aber auch auf dem Lagergelände die Küche, den Sanitärtrakt, die Krankenbaracke, das Magazin, die Effektenkammer und die Lagerverwaltungsbüros mit Kartei und Logistik, wohl peinlich darauf bedacht, die Spuren der Verbrechen und ihre eigenen Verflechtungen darin gründlichst zu verwischen.
Wasser, Strom, Müllentsorgung mussten bei den Werken abgemeldet werden, dem Ortsbürgermeister Meldung gemacht werden, und irgendwann zogen dann auch der Kommandant und die Wachmannschaft ab.
Jemand schloss das Lagertor.
Und dann?
Was passierte eigentlich dann mit dem Lager?
Frau Luise S. aus Grüneberg (Jg. 1925) erzählt:
„Herr Jolke, der Ausklingler, der kam und hat uns direkt bestimmt: Auftrag vom Bürgermeister so und so, ihr müsst heute da und da hin, da müssen die Decken raus. - Die Fläche sollte sauber sein und alles sollte weg und kein Schandfleck mehr sein oder vielleicht haben sie auch ein schlechtes Gewissen gehabt, das weiß ich nicht. Es musste alles geräumt werden. Die Baracken, in denen die Gefangenen gewesen sind, das war nur ein Raum, nicht abgeteilt. Die Betten waren ganz einfach, aus Bretterholz zusammengenagelt.
Matratzen waren das nicht, Strohsäcke. Und da waren die Decken. Weiter war da nichts. Ich möchte sagen, das waren Doppelstockbetten. Und da haben wir noch so gesagt: Gott, was haben diese Menschen hier ausgehalten.“
Frau Dana V. aus Slowenien berichtet als Überlebende:
„Im Schlafsaal gab es viele Doppelstockbetten, ich schlief unten. Die Matratzen waren mit Maisstroh gefüllt. Die Decke war voller Läuse und ganz schmutzig, e i n e Decke für die ganze Zeit! Es gab keine Möbel, alles musste immer sehr ordentlich aufgeräumt sein, Betten, Kleider, am Rand des Bettes lag alles auf seinem Platz, sonst würden wir geprügelt oder Hunde würden auf uns gehetzt.“
Bild 6: Dana V. aus Slowenien / Foto: Ruth-Barbara Schlenker
Alle Baracken waren genormt und bestanden aus einzelnen Wandelementen, manche mit Fenster oder Tür. Die Teile funktionierten wie ein Stecksystem. In Grüneberg wurden sie auseinandergenommen und in dieser baustoffarmen Zeit nach dem Krieg einer Wiederverwendung zugeführt. So kamen sie zum Beispiel in den Kraatzer Weg in Häsen, auch nach Neulöwenberg oder nur ein paar Meter weiter in den Kreuzberg in Grüneberg. Sie wurden von Familien gebraucht, die ihre Heimat im Osten verlassen mussten und hier eine neue Bleibe suchten. Neben einer ersten Behausung stellte man ihnen Parzellen aus der Enteignung zur Verfügung, so konnten sie für ihren Lebensunterhalt wirtschaften. Die wiederverwendeten Baracken wurden später außen oder innen mit Steinwänden isoliert oder durch Steinhäuser ersetzt. Ein prominentes Beispiel ist die Kirchenbaracke in Häsen, die 2015 nach Teltow versetzt wurde und dort heute noch im Gebrauch ist.
Aber auch in Neulöwenberg sind noch deutlich Barackenelemente im Wohnhaus Südweg 1 zu erkennen.
Bild 7: Diese Baracke stand viele Jahrzehnte auf einem Privatgrundstück und diente der Einwohnerschaft von Häsen als Gotteshaus / Foto:Pfarrarchiv Gutengermendorf
Bild 8: Eins von ehemals drei Wohnhäusern mit verbauten Barackenteilen in Neulöwenberg / Foto: Ruth-Barbara Schlenker
Aber auch die Umfassung des Lagers bestand aus rarem Baumaterial. Holzbretter wurden zum Verfeuern, Ziegelsteine und Betonpfähle zur Einfassung eigener Grundstücke geholt. Wer heute mit offenen Augen durch Grüneberg geht, kann diese markanten Säulen an mehreren Orten finden. Es sind Pfähle, die - wenn die Enden nicht abgesägt wurden - oben gebogen sind und möglicherweise noch Spuren der Befestigung des Stacheldrahtes zeigen. Isolatoren weisen auf die Vorrichtung eines Elektrozauns hin.
Dana V. erzählt:
„Es gab Wachtürme rundherum. Der Zaun war blickdicht. Wir durften dem Zaun nicht nahe kommen, das war verboten. Wer dem Zaun nahe kam, wurde vom Wachturm erschossen oder von dem Wachmann, der innen Streife lief. Elektrozaun von oben bis unten, der Zaun bestand vielleicht aus Holz oder aus Steinen. Eine Frau hat dort Suizid gemacht.“
Der Grüneberger Andreas H. im Pappelhofer Weg etwa einhundert Meter hinter dem Gelände möchte seine marode Grundstücksmauer ausbessern. Umsichtig wäre es, wenn er es der Initiative zur Verfügung stellt. Leider sind die Bemühungen, sie unter Denkmalschutz zu stellen, ins Leere gelaufen, weil Bauteile, sowie sie ihren ursprünglichen Standort verlassen, nicht mehr unter den Denkmalschutz fallen.
Bild 9: Verbaute Zaunpfeiler, vielleicht auch weiteres originales Baumaterial im Pappelhofer Weg / Foto: Ruth-Barbara Schlenker
Bild 10: Isolatoren für den Elektrozaun / Foto: Ruth-Barbara Schlenker
Ebenso sind originale Zaunpfeiler in der Waldstraße zu sehen, in den Wackerbergen und an anderen Stellen.
Heute erinnert eine Gedenktafel an die drei blutigen Jahre. Sie wurde erst im letzten Jahr der DDR, fast 45 Jahre nach der Räumung des Lagers, errichtet: zurückhaltend und wohl kaum das Ausmaß des Geschehens abbildend. Immerhin ein kleiner Gedenk-Punkt. Schilder an der B 96 und im Dorf sollen künftig auf ihn hinweisen und Interessierte hierherführen.
Quellen:
Magisterarbeit von Susanne Neumayer: "Das Außenlager des KZ Ravensbrück in Grüneberg und die Grüneberger Metallgesellschaft mbH. Ein Rüstungsstandort in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges", Institut der Geschichtswissenschaften der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität Berlin, 2002 Susanne Neumayer Magisterarbeit
Ausländerstatistik der Gemeinde Grüneberg, Archiv der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen
Loretta Walz: Interviews mit ehemaligen Häftlingsfrauen
Polnisches Quelleninstitut Lund: Häftlingsprotokolle
Ravensbrück-Archiv, Erika Buchmann: Band 33 Bericht 599_2
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Reinhard Plewe: Rekonstruktion Lager Grüneberg
Landesluftbildsammelstelle der Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg
Aussagen Grüneberger Zeitzeugen/innen
Stand: Oktober 2022